Dienstag, 23. Oktober 2012

Die Schule, der Berg und der Mann mit dem Walrossbart


Nach einer Woche Österreichaufenthalt wieder "zu Hause" in Königsfeld! Viel hat sich nicht verändert, aber trotzdem alles auf Anfang, denn Thomas hat seinen Dienst beendet, und ich bin jetzt der "Alte", obwohl mein neuer Mit-Zivi Philipp schon 23 ist.
Die Fahrt verlief unspektakulär, abgesehen von einem hundsgemeinen Schlagloch auf der Hauptstraße zwischen Tjatschiv und Chust, dass ohne Vorwarnung aus dem Dunkel gesprungen ist und sich in unserer Felge festbeißen wollte. Es hat sie aber nur verbogen, und auch das wurde schon repariert, danke der Nachfrage. Tja, die Straße lebt hier eben.

Wir haben viel zu tun mit der jährlichen Weihnachtsaktion, bei der 21.000 Schuhschachteln mit Geschenken von Österreich an die Kinder hier in der Region verteilt werden. Der bürokratische Aufwand ist dementsprechend groß. Dank Philipps bewundernswerter Ambition haben wir auch endlich mal unsere Bude ausgeräumt/aufgeräumt und dabei Erstaunliches zu Tage gebracht. Resumee: Es gibt nichts, was wir nicht haben, man muss es nur finden!

Langsam merkt man auch, dass die Sonnenstunden kürzer und kürzer werden, was hauptsächlich an dem Berg liegt, in dessen Schatten unser Haus und ein Großteil des Dorfes liegen. In zwei Monaten wird hier bereits um elf Uhr vormittags die Sonne untergehen.

Neben unseren anderen Arbeiten und dem Helfen in der Schule von Königsfeld fahren wir immer noch dreimal wöchentlich in die Schule nach Deutsch Mokra, die ich heute ein bisschen vorstellen möchte:

Lehrerin Natalja und Schevtschenko über der Tafel


In allen Schulen hier hängt über der Tafel das Bild eines stattlichen Mannes mit Walrossbart, der offensichtlich Schewtschenko heißt. Darunter Zitate von ihm, die sicher geistreich sind, die ich aber nicht verstehe. Dies ist aber weder der Direktor, noch ein Politiker oder heimischer Fußballstar, wie meine ersten Vermutungen lauten, sondern der ukrainische Nationaldichter, der anscheinend viel zur Bildung zu sagen hat und jetzt 149 Jahre nach seinem Tod mit strengem Blick über die richtige Konjugation irreflexiver Verben und Ähnliches wacht.


Schule von außen

Es gibt keine Waschbecken oder Wasserklos in der Schule, nicht mal fließendes Wasser. Das wird aus der Schulküche geholt, in der die Kinder jeden Vormittag ein warmes Essen bekommen. An Unterrichtsmaterialien gibt es nur das Nötigste.
Die Schulglocke ist händisch zu bedienen und hängt frei und für Kinderhände zu erreichen im Gang, was ab und zu zu verkürzten Schulstunden führt...


 
 In der Schule gibt es ca 100 Schüler, in den Klassen sind aber selten mehr als 7 oder 8 Schüler. Viele fehlen mit Erlaubnis der Eltern, um Hausarbeiten zu erledigen oder der Familie anders zu helfen, zum Beispiel durch Pilzesammeln.
Die Motivation ist leider sehr niedrig, weil der Lebensweg der meisten schon vorbestimmt scheint und ihnen als Holzarbeiter oder Hausfrauen Deutsch wenig helfen wird.
 was auch in Österreich der Fall ist, tritt hier noch stärker zu Tage: Es sind nur die Schüler interessiert und gut in der Schule, deren Eltern einen höheren Bildungsgrad haben, also meist die Lehrerkinder.


Schulhof mit Schulklos


 
Beim Alphabet lernen

Das Unterrichten macht trotz allem Spaß, und es ab und zu zu schaffen, die Begeisterung in Kinderaugen zu wecken, ist das schönste Geschenk blabla. Stimmt wirklich!

Freitag, 5. Oktober 2012

Königsfeld City


Schon ein Monat hier, die Zeit ist wirklich wie im Flug vergangen! Lieb gewonnener Alltag, eine lieb gewonnene Zivi Bude und natürlich Menschen, die man schon langsam kennt und immer mehr mag :) Thomas´ Dienst neigt sich dem Ende zu, bald bin ich auf mich "allein gestellt", was natürlich nicht stimmt, weil es hier jede Menge Leute gibt, die einem ohne zu zögern helfen und zu denen man immer gehen kann, wenn man ein Problem hat. Aber die stell ich ein anderes Mal vor, heute ist mal das Dorf Königsfeld dran:

Kurz zur Geschichte: 1800irgendwas hat Maria Theresia einige Einwohner des Salzkammergutes (zwangs-)ausgesiedelt, um die Holzwirtschaft in den Transkarpaten, die ja damals zu Österreich gehörten, effektiver zu machen. Im März sind sie losgegangen, im Oktober hier angekommen, woraufhin dann gleich mal die Hälfte im ukrainischen Winter erfroren ist, weil ihnen niemand gezeigt hat, wie man Hütten baut. (Für geschichtliche Richtigkeit übernehme ich keine Verantwortung, das erzählt man sich hier so. Wer Genaueres und Korrekteres wissen will schaut auf www.landlerhilfe.at, die Website unserer Organisation, die auch ansonsten sehr zu empfehlen ist.)
Diese ausgesiedelten Familien haben dann das Dorf Deutsch Mokra gegründet, und später aufgrund des Kinderreichtums weiter flussabwärts auch noch Königsfeld. Heute gibt es hier nur noch wenige deutschsprachige Familien, und diese können meist kein Hochdeutsch, sondern einen alten Dialekt, der hier sozusagen konserviert wurde.

Das Dorf war wegen seiner absolut genialen Lage und der schönen Landschaft im Kommunismus ein beliebter Urlaubsort, aus ganz Russland ist man hierher gekommen, zum Schifahren und Wandern. Es gibt ein großes Hotel, das allerdings seit Jahren leersteht. Denn nach der Wende 1989 ist die funktionierende Wirtschaft zusammengebrochen, es gibt seitdem kaum Arbeit, keine Perspektiven für die Jugend und dementsprechend viele Alkoholiker. 
1998 und 2001 gab es auch noch gewaltige Hochwasser, die die Straßen zerstört haben und die Zugstrecke mitgerissen haben. Seither ist Infrastruktur hier ein Fremdwort. (Das wars zwar vorher auch schon, aber ihr wisst was ich mein...)

Königsfeld liegt wie bereits erwähnt in einem engen Tal, beidseitig recht hohe Berge und eine Natur, die in der Ukraine ihresgleichen sucht. Der Ort ist sehr langgezogen, die Häuser sind fast alle an der Hauptstraße, in die Breite geht es fast nie.

Es gibt ein Dorfzentrum mit drei Geschäften, sogenannten Magazins. Die haben 7 Tage die Woche geöffnet. Am Dorfplatz wird einmal die Woche ein kleiner Markt abgehalten.

Dorfzentrum


Geschäft "Zentrum"

orthodoxe Kirche

deutsche katholische Kirche

Das ehemalige kommunistische Zentrum, das heute als Altenheim dient. Das Schicksal geht seltsame Wege...

Hauptstraße nahe Zentrum



Noch eine bezeichnende Besonderheit zum Schluss: Das ukrainische Wort für "langsam" hab ich bereits in der ersten Woche gelernt, aber "schnell" kann ich mir einfach nicht merken...